Politik






Kommentar von Daniel Aldridge zum Radical Queer March 2019
(3. August 2019)


Am letzten Samstag gab es in Berlin nicht nur den großen Christopher Street Day, sondern auch in Kreuzberg/Friedrichshain den Radical Queer March. Die letztere Demo richtete sich im Flyer-Text gegen die Vereinnahmung der schwullesbischen, Transgender, intersexuellen, bisexuellen und queeren Community plus Sternchen, gegen die Vereinnahmung der Bewegung durch den Regenbogenkapitalismus, aber auch gegen Diskriminierung von Minderheiten wie PoC innerhalb der Szene. So weit, so gut. Also ein Anlass für mich, dort mitzuziehen.

Was dort dann geschah, ist leider problematisch. Schon vor Beginn kündigte die Gruppe der sogenannten Queers for Palestine an, dort mitzumarschieren unter der Begründung, auch der Minderheit der queeren Betroffenen im Palästina-Konflikt eine Stimme zu geben. Nachdem die Veranstalter die Teilnahme dieser Gruppierung zunächst abgelehnt hatten unter einem pauschalisierenden Vergleich der BDS-Bewegung mit Antisemitismus wurde nach einer Diskussion in den sozialen Netzwerken diese Stellungnahme revidiert, und die Veranstalter hielten fest, sie würden dem BDS nicht pauschal Antisemitismus unterstellen.

Zu Beginn der Demo, zu der sich über hundert Queers einfanden, kam es dann zu Ereignissen, die im Nachhinein auf widersprüchliche Weise dargestellt werden. Fest steht, dass es zu einer Trennung des Queers-for-Palestine-Blocks und dem Radical Queer March kam, der durch die polizeilichen Ordnungskräfte erfolgte. Trotzdem zogen die Queers for Palestine dem Demozug unmittelbar im Anschluss hinterher. Die Redebeiträge der Radical Queers wie zum Beispiel der Gruppe der Nonbinaries wurden von den Sprechchören des BDS-Blocks gestört. Die Demo musste schließlich vorzeitig aufgelöst werden.

Die unterschiedlichen Darstellungen betreffen die Frage, ob die Trennung durch die Polizei allein erfolgte oder von den Veranstaltern des Radical Queer March ausging. Es ist auf jeden Fall ein unsensibles Verhalten der Veranstalter gewesen, sich mit einer Bitte um Hilfe bei möglichen Konfliktgefahren überhaupt an die Polizei zu wenden. Andererseits wurden auf dem Block der Queers for Palestine auch problematische Plakate gesehen, so zum Beispiel eines, das Solidarität mit einem palestinensischen Terroristen forderte. In diesem Sinne bin ich froh über die Trennung.

Ich bin ein wenig traurig. "Queer" ist zum Etikett geworden, worunter sich zum Einen Regenbogenkapitalismus (zum Beispiel ein Stand vom Axel-Springer-Verlag auf dem Schwullesbischen Motzstraßenfest), aber auch Regenbogenalkoholismus und auf der anderen Seite unversöhnliche extreme Konfliktkontraste (wie auf dem Radical Queer March) die Hand reichen könnten. Beides hat mit den Prinzipien einer queeren Bewegung nichts mehr zu tun, die sich abseits der etablierten gesellschaftlichen Strukturen bewegt. Zu letzteren gehört nicht nur die Vereinnahmung der Bewegung durch Banken, Versicherungen oder andere rein kommerzielle Interessen, sondern auch ein Jahrzehnten währender politischer Konflikt, dessen Parteien nicht an einer Lösung interessiert zu sein scheinen.

Queer bedeutet auch, unkonventionelle Lösungsstrategien einzusetzen. Im nächsten Jahr erwarte ich daher einen gemeinsamen Zug, der sich wie ein wogendes Meer verschlungener Körper und Seelen aller Couleur und aller Schattierungen voller Sinnlichkeit, Empfindsamkeit und vor allem voller Liebe ohne Grenzen durch die Straßen der Stadt zieht. Ganz im Sinne einer Armee der Liebenden für das Recht auf Diskurskompatibilität aller.


   



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